Was tut eigentlich ein Verkehrsplaner? Wie lange dauert ein Grossprojekt durchschnittlich? Wie nachhaltig sind die Pläne und Ideen? Als Verkehrsplaner bei der asm muss Heinrich Matter vor allem eines: der Zeit voraus sein. Ein Gespräch über seinen Alltag, den Planungshorizont, kurzfristige Projekte und das konkrete Beispiel Baselstrasse in Solothurn.
Herr Matter, wie wird man Verkehrsplaner?
«Da gibt es viele Wege – Verkehrsplanung ist Teil des Studiums zum Bauingenieur oder der Raumplanung. Ich hingegen bin ursprünglich Maschineningenieur und komme aus dem Fahrleitungsbau. Ich habe das Feld quasi von hinten aufgerollt …»
Und wie kann man sich Ihren Job konkret vorstellen?
«Ich verantworte die Angebotsplanung von Bahn und Bus bei der asm. Wir kreieren Fahrplan- und Angebotsstudien und wollen herausfinden, wie der öffentliche Verkehr in Zukunft betrieben wird. Der Bund investiert jährlich grosse Summen in die Bahninfrastruktur – ein kleiner Teil davon geht an die asm. Darunter sind auch für die asm grosse Projekte wie die Sanierung und Umgestaltung der Baselstrasse in Solothurn. Für den Bus begleite ich häufig auch kleinere Projekte wie zum Beispiel die Projektierung von behindertengerecht ausgebauten Bushaltestellen.»
Wie muss man sich Ihren Alltag vorstellen?
«Sehr abwechslungsreich. Ich befinde mich intern stets im Austausch mit den Bereichen Betrieb, Rollmaterial und Infrastruktur sowie Bus. Und extern bin ich in zahlreichen Gremien mit Vertretern des Bundes, der Kantone oder den Bestellern unterwegs. Bei grossen Projekten macht die Kommunikation wohl 50 Prozent meines Jobs aus – die anderen 50 Prozent betreffen die Planungen.»
Wie weit nach vorne reichen Ihre Planungen?
«Im Moment gehen wir von einem Horizont bis 2045 aus – bei einzelnen Projekten sind es sogar über 30 Jahre in die Zukunft, sprich 2052. Der wichtigste Indikator ist die Bevölkerungs- und Arbeitsplatzentwicklung.»
Wie lange dauert ein Projekt durchschnittlich von der Idee bis zur Ausführung?
«Da gibt es keinen fixen Wert, weil die Ausführung der Projekte zu verschieden und abhängig von Dritten sind. Es ist schwierig vorauszusehen, ob und wann es zu Verzögerungen kommt – beispielsweise wegen Einsprachen.»
Können Sie uns ein Beispiel geben?
«Beim Doppelspurausbau zwischen Finsterhennen und Brüttelen begannen wir im Jahr 2017 mit den Planungen, obwohl der Grund für den Ausbau – die Anpassung des BLS-Fahrplans aufgrund von Netzausbauten auf der BLS-Bahnlinie – erst für 2030 angedacht ist. Das zeigt die Dimensionen, in denen wir uns bewegen. Bei einem neuen Angebotskonzept für eine Buslinie dauert es dagegen nur zirka halb so lang.»
Gibt es auch Projekte, bei denen es eilt?
«Ja, das beste Beispiel waren die Übernahme der drei neuen Buslinien im Raum Biel sowie der Bau des Busdepots Meinisberg. Dort ging alles innerhalb eines Jahres über die Bühne.»
Wer gibt eigentlich den Startschuss zur Umsetzung?
«Meistens der Besteller. Bei Angebotskonzepten ist es beispielsweise der Kanton, bei Infrastrukturprojekten das Bundesamt für Verkehr. Bei Studien kann es auch mal eine Behörde sein.»
Gehen Sie bei kleinen und grossen Projekten gleich vor?
«Nein, das funktioniert differenziert. Die Organisation läuft komplett anders ab, doch das Vorgehen in vielen kleinen Schritten ist ähnlich.»
Erklären Sie doch bitte anhand des Grossprojekts der Sanierung und Umgestaltung Baselstrasse in Solothurn, worauf es alles ankommt und wo die möglichen Hürden liegen.
«Bei diesem Projekt war ursprünglich die Politik der Auslöser: Die Sanierung der Baselstrasse geht auf eine Interpellation im Kantonsrat im Jahr 2005 zurück. Die Interpellantin wollte ursprünglich, dass das ‹Bipperlisi› zwischen Solothurn und Oensingen auf einen Busbetrieb umgestellt werden soll – Untersuchungen aber ergaben deutlich, dass man nicht auf einen Bahnbetrieb verzichten konnte – im Gegenteil, die Bahn sollte gar ausgebaut werden. Hierfür muss die Sicherheit in der Baselstrasse, wo die Bahn auf der Strasse verkehrt, verbessert werden. Nach zahlreichen Abklärungen und Variantenvergleichen sind wir nun zusammen mit dem Amt für Verkehr und Tiefbau des Kantons Solothurn zum Schluss gekommen, eine Mischverkehrslösung umzusetzen: mit zwei Gleisen für die Bahn, die künftig ihre Spur mit dem Strassenverkehr teilt. Das Dossier kann Stand heute (Februar 2022) im Herbst 2022 zur Genehmigung beim Bundesamt für Verkehr eingereicht werden.»
Welche Herausforderungen mussten Sie bisher bewältigen?
«Die bisher grösste Hürde war der Abgleich der divergierenden Interessen, welche zum Teil völlig gegensätzlich sind. Zum einen sind gesetzliche und normative Vorgaben zur Trassierung der Bahn oder zur Gestaltung des Strassenraums einzuhalten. Dies alles, ohne dass die geschützten Gebäude und Bauten entlang der Strasse tangiert werden. Zusammen mit zahlreichen Amtsstellen und Interessenverbänden galt es, ein funktionierendes Konzept zu kreieren. Es ist klar, dass in einem solchen Projekt nicht alle ihre Vorstellungen hundertprozentig realisieren können. Wir mussten gemeinsam Kompromisse finden. Das Wichtigste dabei ist die Kommunikation mit den politischen Vertretern und den Anwohnerinnen und Anwohnern.»
Welche Visionen wollen Sie mit der asm noch umsetzen?
«Die Dekarbonisierung der Busflotte: Diese hat eine grosse Auswirkung auf alle Aspekte des Busbetriebs, zum Beispiel auch auf die Fahrplangestaltung und ihre Effizienz. Dies wird uns in den kommenden Jahren noch ein bisschen begleiten.»
Wie nachhaltig sind Ihre Pläne und Ideen?
«Die öV-Strategie des Bundes ist per se schon mal nachhaltig. Die Bahninfrastruktur benötigt viele Ressourcen – besonders im Bau und Unterhalt. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Ressourcen gezielt und am richtigen Ort eingesetzt werden – damit ein Bauwerk während der gesamten Lebensdauer seine Wirkung entfalten kann.»
Heinrich Matter ist ein Quereinsteiger. Er arbeitete in verschiedensten Positionen in der öV-Branche, bevor er 2013 bei der asm den Job als Verkehrsplaner annahm. Sein Arbeitsspektrum ist gross und faszinierend: von der hindernisfreien Bushaltestelle bis zu Jahrzehntprojekten – beispielsweise der komplexen Sanierung der Bahnlinie in der Baselstrasse in Solothurn.